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Als der alte Fahrenbach, der eine zunächst kleine Firma im Weinanbau und -vertrieb errichtet und im Laufe der Jahre zu einem bedeutenden Familienunternehmen erweitert hat, das Zeitliche segnet, hinterlässt er ein ziemlich seltsames Testament. Drei seiner Kinder scheinen Grund zur Freude zu haben, Frieder als neuer Firmenchef, Jörg als Schlossherr und Grit als Villenbesitzerin.
Es gibt Situationen im Leben, die so intensiv sind, dass man sich hinterher fragt, ob das, was man erlebt hat, auch wirklich geschehen ist. Und genau das fragte sich Bettina Fahrenbach in diesem Augenblick. Sie saß, obschon es erst sechs Uhr morgens war, nach einer fast schlaflos verbrachten Nacht, an ihrem Schreibtisch und sortierte ihre Post – Werbebriefe, die sofort in den Papierkorb wanderten, Kontoauszüge, aber leider auch mehrere Rechnungen. Ihr Blick fiel immer wieder auf den Feststellungsbescheid der Gemeinde, die für Grundstückserschließungskosten beinahe siebenundsiebzigtausend Euro von ihr haben wollte. Eine Menge Geld, von der sie nicht wusste, wie sie sie aufbringen sollte. Natürlich war es wunderbar, dass mehrere ihrer Grundstücke zu Bauland geworden waren. Wenn sie jetzt verkaufen würde, würde das eine Menge Geld bringen. Aber die Fahrenbachs hatten noch niemals etwas verkauft, seit fünf Generationen nicht. Da konnte sie jetzt nicht den Anfang machen. Sie wollte es auch gar nicht, sondern das, was sie geerbt hatte, für die nächste Generation verwalten, erhalten. In den letzten Tagen war es ihr fast gelungen, nicht daran zu denken, alles zu verdrängen. Thomas Sibelius, ihre große Liebe, war unverhofft aus Amerika, wo er lebte, gekommen, um bei der Hochzeit ihrer Freundin Linde an ihrer Seite zu sein. Die Zeit, die sie miteinander verbringen durften, hatte genau von Freitagfrüh bis Sonntagnachmittag gedauert. Nicht mehr als ein Wimpernschlag, wie ihr im Nachhinein erschien, und dennoch war es so intensiv gewesen, so voller Liebe, Zärtlichkeit, Gefühl, Wärme, Nähe, dass es fast wie ein Traum gewesen war. Und die Hochzeit von Linde und Martin! Es war ein wunderschönes Fest gewesen – emotional, aber auch unbeschwert und fröhlich. Bis auf diesen kleinen Zwischenfall. Linde hatte es total vergessen oder vielleicht auch nur verdrängt, aber sie hatte immer noch das Bild vor Augen, wie unvermittelt dieser schwarze Vogel, von dem sie nicht einmal wusste, ob es ein Rabe oder eine Krähe gewesen war, weil es so schnell gegangen war, sich auf Linde stürzte. Er riss an ihrem mit Seidenblumen verzierten Kämmchen. Lindas Aufschrei und Martins beherztes Eingreifen hatten ihn ohne Beute wie ein Spuk verschwinden lassen.